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AZRAEL

Musikalische Parabel in 2 Akten

mit einem Prolog und einem Epilog

Libretto: Silke Hassler und Dirk D'Ase

© Noise Production 1998/30

Ein Auftragswerk von NetZZeit Wien

 

Inhalt: Synopsis - Kommentare zum Libretto und Musikalisches Konzept - Besetzung - Kritiken

 

- Synopsis -

  

Diese Oper erzählt von einem jungen Mann, Pino, der versucht, mit kleinen Betrügereien und Glücksspielen mehr recht als schlecht durchs Leben zu kommen. Er verletzt bei einem Streit seine schwangere Freundin Maria schwer und stirbt selbst im Kampf mit einem Spieler durch sein eigenes Messer. Monsieur Azrael, ein Engel aus dem Jenseits, der Pino erscheint, ermöglicht es ihm, noch einmal auf die Erde zurückzukehren. Er soll den letzten Tag seines Lebens wiederholen, um sein und damit das Schicksal von Maria zu verändern. Pino kehrt auf die Erde zurück, mit dem festen Vorsatz, Maria, sich und sein Kind, von dessen Existenz er erst durch Monsieur Azrael erfährt, ein glückliches Leben zu bieten. In diesem einen wieder gewonnenen Tag begeht er aber all die immer gleichen Fehler, übergeht die liebevoll gemeinten und hilflosen Versuche seiner Freundin, verstrickt sich in dubiose Geschäfte und sinnlose Hoffnungen. Er scheitert, aber nicht nur an sich selbst und seinen Vorsätzen, sondern auch an den Verhältnissen, die sich für diesen einen Tag nicht geändert haben.

Diese märchenhafte Geschichte ist eingespannt zwischen Prolog und Epilog des Todesengels Azrael, der nicht an die Läuterung des Menschen glaubt, Recht behält und zynisch bleibt.

 

AZRAEL, eine deterministische Oper

 

Die Zeit frisst die Menschen.

Die Welt, ein trostloser Ort.                                               

Hört Ihr das Weinen

eines neugeborenen Kindes

in der Stunde seiner Geburt?

Seht Ihr die Verzweiflung

im Moment des Todes?

 

Nun, sagt mir:                                                        

Kann, was auf solche Weise beginnt und endet,

ein Vergnügen sein?

 

Der Mensch führt ein trauriges Leben,

entrinnt nur kurz dem Jenseits,

und sein erbärmliches Dasein auf Erden

findet bald ein jämmerliches Ende.

 

Sagt mir doch,

wozu Ihr das Leben dem Tode vorzieht?

 

Ist es die Liebe,

die Ihr bei Euch oder anderen aufzufinden vermeint?

Sind es die Hoffnungen, 

die sich Liebenden gegenseitig machen,

Beteuerungen und schöne Lügen,

die Euch, gebrannte Kinder,

wie eine ferne Musik anlocken?

 

Mit diesen Worten aus dem Prolog leitet der Protagonist, Monsieur Azrael meine dritte Oper „AZRAEL“ ein. Eine musikalische Parabel die von einem jungen Mann, Pino, erzählt der versucht, mit kleinen Betrügereien und Glücksspielen mehr schlecht als recht durchs Leben zu kommen. Die Geschichte ist denkbar einfach und doch so unfassbar weitläufig. Pino verletzt bei einem Streit seine schwangere Freundin Maria schwer und stirbt selbst, durch sein eigenes Messer, im Kampf mit einem Glücksspieler. Monsieur Azrael, ein Engel aus dem Jenseits, der Pino erscheint, ermöglicht es ihm, noch einmal auf die Erde zurückzukehren. Er soll den letzten Tag seines Lebens wiederholen, um sein und damit das Schicksal von Maria zu verändern. Pino kehrt auf die Erde zurück, mit dem festen Vorsatz, Maria, sich und sein Kind, von dessen Existenz er erst durch Monsieur Azrael erfährt, ein glückliches Leben zu bieten. In diesem einen wieder gewonnenen Tag begeht er aber all die immer gleichen Fehler, übergeht die liebevoll gemeinten und hilflosen Versuche seiner Freundin, verstrickt sich in dubiose Geschäfte und sinnlose Hoffnungen. Er scheitert, aber nicht nur an sich selbst und seinen Vorsätzen, sondern auch an den Verhältnissen, die sich für diesen einen Tag nicht geändert haben. Diese märchenhafte Geschichte ist eingespannt zwischen Prolog und Epilog des Todesengels Azrael, der nicht an die Läuterung des Menschen glaubt, Recht behält und zynisch bleibt.

 

Mit Ausnahme von Monseur Azrael sind unsere Protagonisten einfach gestrickte  Menschen, die sich mit Gelegenheitsjobs, Betrügereien, Prostitution oder Glücksspielen, mehr schlecht als Recht durchs Leben schlagen. Dementsprechend sprechen sie eine sehr rudimentäre Sprache, fern von der gefinkelten Wortwahl eines Monsieur Azrael. Pino ist der geborene Verlierer, der immer wieder in Missgeschicke hineinstolpert und stets versucht seine Umwelt dafür verantwortlich zu machen, indem er davon überzeugt ist der emotional Verwundete zu sein, den man verstehen und bemitleiden muss.  Der Spieler ist wiederum ein konturloser, auswechselbarer Wichtigmacher, rücksichtslos, arrogant und nur auf seine eigene Bereicherung aus. Maria hingegen ist eine einfache Seele, die es Pino nur Recht machen will, jedoch scheitert an ihrer Unfähigkeit selbstständig zu handeln.

 

Wer ist nun dieser Monseur AZRAEL? Der Name Azrael stammt aus dem Arabischen und bezeichnet in der islamischen Traditionsliteratur den mālik al-maut, im Sikhismus und im Hebräischen den „Engel des Todes“. Sein Name heißt im Hebräischen ‘Wem Gott hilft’. In der islamischen Überlieferung ist er der vierte Erzengel und der Todesengel, der im Koran nicht namentlich genannt wird. In der Sure 32,11 heißt es: «Der Engel des Todes, der über euch eingesetzt ward, wird eure Seelen hinnehmen; zu eurem Herrn dann werdet ihr zurückgebracht.»). Er soll 70 000 Fuß groß sein und 4000 Flügel haben, die mit unzähligen Augen übersät sind. Wenn eines von ihnen zwinkert, stirbt ein Mensch. Auch soll er in ein ewig dickes Buch schreiben und ewig ausstreichen. Was er schreibt, ist die Geburt des Menschen, was er ausstreicht, ist der Name des Verstorbenen. Azraels Rolle besteht in erster Linie darin, Menschen zum Zeitpunkt ihres Todes beim Übergang in die jenseitige Welt zu helfen.

 

Dass die Tango-Oper AZRAEL gerade in einem Bordell vis-a-vis der Wiener Staatsoper uraufgeführt wurde, war kein Zufall. Behandelt diese Oper doch die unabwendbaren und unergründlich schicksalhaften Seiten des Menschen, indem sie die Frage nach dem Sein und dem nicht Sein unserer Existenz aufwirft. Die Proben und Aufführungen von Azrael fanden größtenteils im damaligen Bordell „Maxim“ statt. Obwohl ich die Oper für solche Räumlichkeiten konzipiert hatte, war es für mich eine Premiere ein Bordell zu betreten. Bald merkte ich, sowie alle anderen Mitwirkenden, dass man, sobald im Etablissement angelangt, in eine eigene Welt eingetaucht war. Erst recht wenn die Tänzerinnen und Prostituierten gegen Ende der Probe (um 22:00 fingen sie zu arbeiten an) eintrudelten, um sich auf die Nachtarbeit vor zu bereiten. Die Musiker bekamen als Garderobe die Stundenzimmer zugeteilt, die in einem Gang neben der Bühne aufgereiht waren. Wie oft  haben wir auf den Betten sitzend mit Faszination diese Welt, mit ihren warmen Farben, Plüschstoffen, Spiegeln, Badewannen, Kühlschränkchen, Bars und übergroßen Betten bestaunt und uns in einer völlig anderen Sphäre gewähnt.

 

Die Idee, eine Oper mit diesem Thema zu schaffen, hatte ich bereits Mitte der Achtziger Jahre, als ich auf Sartres deterministisches Drama „Les jeux sont faits“ (Das Spiel ist aus) aufmerksam gemacht wurde. Sartres Stoff entsprach meinen damaligen Vorstellungen vom Sein und nicht Sein, und es wurden bereits Pläne für ein Libretto geschmiedet. Leider scheiterte das Vorhaben an der Tatsache, dass Sartre Bearbeitungen seiner Werke verboten hatte. Meine Enttäuschung war dementsprechend groß. In den nächsten zehn Jahren startete ich noch etliche Versuche, einen ähnlichen Stoff zu einer Oper zu verarbeiten. Andere Aufgaben schoben dieses Projekt jedoch immer wieder in den Hintergrund (u.a. zwei große Forschungsreisen in den südlichen Teil Afrikas mit anschließender Magisterarbeit und die Arbeiten an meinen ersten zwei Opern „Red Rubber“ und „Diary of Ronald Hansen“). 1997 entschloss ich mich dann, dem Opernprojekt „Fragen und die Suche nach dem Sein“ endlich ein Gesicht zu geben.

 

Die Frage, ob wir unser Schicksal, wie von den Existenzialisten behauptet, selber in der Hand haben, oder unser Sein vom Determinismus geprägt ist und einer Kausalität unterliegt, steht im Vordergrund dieser Oper. Eine Frage, die aber auch die brillantesten Philosophen nicht einwandfrei beantworten können, denn sie übersteigt unsere, doch sehr schlichte und begrenzte, irdische Wahrnehmungsfähigkeit um unerreichbare Dimensionen. Um den Prozess des Suchens in der Oper unter die Lupe zu nehmen, lasse ich den Protagonisten Pino vom Diesseits ins Jenseits und wieder zurück reisen bzw. sterben und für einen Tag wieder auferstehen. Pinos Ableben bzw. Reise ins Jenseits gleicht dem ersten Bordellbesuch eines schüchternen Mannes, der versucht, mit gesenktem Kopf und hochgestecktem Kragen unerkannt das Etablissement zu betreten. Endlich den Schritt über die Türschwelle geschafft, Mantel und Hut abgelegt, umgarnt ihn ein Spiel von gedämpftem Licht, rotem Plüsch, verstohlenen Geräuschen, Schatten und architektonischen Verwinkelungen. Zuerst zwingt ihn, die ihn umhüllende Dämmerung zur Eingewöhnung in seine neue Umgebung. Ein wenig die Orientierung suchend, kann er sich dann in das seelische Labyrinth voller überraschender, dunkelfarbener Verästelungen weiter vorwagen. Je mehr er das Innere, die Seele dieser Sub-Welt erkundet, desto weiter setzt er sich von der vertrauten Welt da draußen ab. Stets von einem geheimnisvollen,  undefinierbaren Verlangen getrieben, schlüpft er in eine Welt der nahezu gedankenlosen, ja bewusstlosen Triebhaftigkeit hinein. Erst jetzt kann er anfangen, sich für den Abend von seinem bewussten Ich ab zu lenken und sich als Befreier seiner seelischen Last und ewig Fragender zu feiern.

 

Pino taucht nach seinem Ableben in die Verwinkelungen des Jenseits ab. Auch er kann sich kaum orientieren, denn als Lebender kannte er nur die eine Dimension: die des vordergründig Wahrnehmbaren. Als Monsieur Azrael ihn aber aufklärt, dass er tot sei und Mist gebaut hat, und ihm anschließend die Chance bietet, den verhundsten Tag neu zu beginnen, um all seine begangenen Fehler wieder gut zu machen, scheitert Pino nicht an sich selbst, sondern an der Kausalität des Seins. Pino kann nur das verändern, was er bis dorthin erkannt hat, denn er kann die Welt nur nach dem verstehen, was er erlebt hat.

 

Schopenhauer legt in seiner „Preisschrift über die Freiheit des Willens“ klar, dass niemand wirklich frei entscheiden kann, da auch die Wahl welche Entscheidung getroffen werden kann, immer von den bereits durchlebten Erfahrungen geprägt ist. Seine Aussage „Ich kann tun, was ich will: ich kann, wenn ich will, alles, was ich habe, den Armen geben und dadurch selbst einer werden- wenn ich will! - Aber ich vermag nicht, es zu wollen; weil die entgegenstehenden Motive viel zuviel Gewalt über mich haben, als dass ich es könnte.“ Das Exzerpt daraus „Ich kann tun was ich will, aber ich vermag nicht es zu wollen.“ wurde zu meinem philosophischen Leitspruch.

 

Nun ein paar Gedanken zur Musik, die ja schließlich meine Domäne ist: Ein Tangoensemble mit seinem unverwechselbaren Klang begleitet Pino auf seinem Weg vom Diesseits ins Jenseits und zurück in eine Gegenwart, die für ihn bereits Vergangenheit ist. Der Tango wird zum Leitmotiv und Gerüst dieser Oper. In seiner strengen, rhythmischen Struktur wird er zum Symbol für die Unabwendbarkeit des Schicksals. Das Stolze und Drängende des Tangos, seine emotionalen Färbungen stehen aber auch für die Wünsche und Träume des Diesseitigen. Pino fühlt sich fast magisch von den Klängen dieser Musik angezogen. Er kann sich ihr, und damit seiner Bestimmung  nicht entziehen, die Musik treibt ihn förmlich vor sich her. Noch auf der jenseitigen Ebene, die musikalisch anders geprägt wurde, klingt der Tango wie ein fernes Echo des Lebens nach. Der spezifische Klang der Instrumentalbesetzung erinnert selbst noch dort, wo es gar keinen inhaltlichen oder rhythmischen Bezug mehr zur Gegenwart gibt, an diese Musik des Lebens. Wer in der Oper AZRAEL aber eine Tango-Oper alla Astor Piazzola erwartet, wird enttäuscht sein, denn in AZRAEL werden ganz andere musikalische Elemente als bei den Werken des meisterhaften Piazzollas aufgegriffen. In dieser Oper habe ich die Bewegung des Tangos unter die Lupe genommen, variiert und bis zur letzten Konsequenz zu Ende gedacht, indem ich versucht habe, sowohl den Rhythmus als auch den Klang in neue Wege ab zuleiten. Um die Geschichte musikalisch besser schildern zu können, entfernt sich die Partitur oft vom vertrauten Tango-Klang und Rhythmus. Der Tango wird nicht nur ständig hinterfragt, sondern auch bis hin zur Auflösung modifiziert.

 

Im krassen Gegensatz zu meiner vorangegangenen Oper „Diary of Ronald Hansen“, in der subtile und tiefgründige Texte von Hugo Claus verarbeitet wurden, habe ich mich bei AZRAEL für einen einfachen, ja fast naiv anmutenden Text entschieden. Die schlichten Dialoge sollten die einfachen Gemüter der Protagonisten, die in ein grausames, schicksalhaftes und unabwendbares Spiel verstrickt sind, und die Bedeutungslosigkeit der Menschen im Geschehen des Universums unterstreichen.

 

Im Vordergrund des Werkes steht die Frage und die komplexe Suche nach Antworten auf das Sein, und nicht die Wertigkeiten des irdischen Lebens. Fragen die wohl nie allgemeingültig befriedigend zu beantworten sind. In unserer Geschichte sind die Menschen in ihrer Existenz nur kleine Rädchen, die mit all den anderen Menschen, Gedanken, Energien und Erfahrungen energetisch vernetzt sind und deshalb auch unausweichlich Einfluss aufeinander nehmen. Ein Spiel, das zu beobachten ungemein spannend ist, wenn man es schafft, sich von rein persönlichen Sehnsüchten, Wünschen und Vorstellungen zu trennen. Der Mensch steht in seiner gesamten irdischen Existenz, als Resultat seiner Erfahrungen und Prägungen dem Leben und Sterben hilflos gegenüber. Handlungen und  Entscheidungen werden ausnahmslos geprägt von unserem bereits gelebten Sein und sind daher kausal bedingt. Am Ende einer Gedankenkette oder einer Handlung steht immer der Anfang unserer Existenz, unserer Prägung. Das nackte Leben entpuppt sich als einzige Vollkommenheit. Daraus folgt die provokante These, dass wir hier in dieser spezifischen Existenz nur dazu da sind, um zwischen Geburt und Ableben die Zeit tot zu schlagen.

 

Diese Aussage, wie auch der Inhalt von AZRAEL, stößt bei den Zuhörern immer wieder auf starken Widerstand und Ablehnung, weil sie sich nicht damit abfinden können und wollen, dass man im Leben keinen Einfluss haben sollte auf das eigene Geschick. Andere Zuhörer wiederum kamen schluchzend zu mir und waren zutiefst erschüttert vom schonungslosen Inhalt, verbunden mit der musikalischen Verarbeitung. Auffallend dabei war, dass Menschen die in ihrem Leben ein unabwendbares schweres Schicksal, wie Krankheiten, Trennungen oder Verluste erlitten hatten deutlich vertrauter waren mit dem schonungslosen Inhalt der Oper als Andere.

 

Es ist ungeheuer spannend im Rückblick auf die Vergangenheit genau verstehen zu können, warum die Dinge im Leben genau so passieren mussten, wie sie passiert sind. Nur durch unsere bloße Existenz haben wir alle in irgendeiner Form Einfluss auf das Geschehen und somit auch aufeinander. In der Geschichte AZRAEL liegt es jedoch nicht in der Macht der Menschen durch kalkulierte Handlungen etwas am Geschehen zu ändern.

 

Für viele dürften diese Gedanken vielleicht ein wenig provokant oder pessimistisch sein, für mich stellen sie eine Relativierung von falschen Sehnsüchten und Wünschen, und natürlich auch eine Anregung zum Nachdenken dar.

 

Monseur AZRAEL beschließt diese musikalische Parabel mit seiner ewig währenden  Erkenntnis:

 

Die Zeit frisst die Menschen.

Das Leben bleibt ein Schatten ohne Licht.

Die Welt, ein trostloser Ort.

 

Die Menschen entrinnen nur kurz dem Jenseits,

und ihr jämmerliches Dasein auf Erden

findet sein trauriges Ende.

 

Sie führen ein erbärmliches Leben,

ihr Flehen bleibt ungehört,

ihre Hoffnung wird betrogen,

ihre Liebe enttäuscht.

 

Gebrannte Kinder,

die immer und ewig

einer fernen Musik nachziehen.

 

Was erfindet der Mensch nicht alles, um seine Lebenszeit sinnvoll zu gestalten, wobei die Einschätzung dieser Sinnhaftigkeit von unseren physischen, emotionalen, geistigen Befindlichkeiten, kulturellen Hintergründen und unseren Trieben abhängig ist. Der Meditierende im Buddhismus, Hinduismus oder Jainismus, der bis zur Aufgabe des Körpers, als höchstes Ziel, die Erleuchtung oder das Erreichen des Nirwana anstrebt; der gestresste Konzernleiter oder Börsenmakler; der Protagonist auf der Bühne; der Extremsportler; die Menschen, die ihr ganzes Leben ausnahmslos nach dem gleichen Muster ablaufen lassen. Unterschiedlicher können sie nicht mehr sein und doch leben sie das gleiche biologische Leben, in der gleichen Dimension und einer ähnlichen Wahrnehmbarkeit. Was liegt also näher, als sich selbst und seine irdische Existenz mit einem Augenzwinkern zu betrachten und die sogenannte „unendliche Leichtigkeit des Seins“ als oberstes Gebot zu deklarieren.

 

Ich lade Sie ein, anhand dieser Operngeschichte ein paar Anregungen zum Nachdenken über die Sicht auf unsere Existenz mitzunehmen.

© Copyright by Dirk D’Ase - Wien, 2012

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- Besetzung -

PINO - ein junger Mann, Glücksspieler und Halunke...................................................Bariton

MARIA - sein Mädchen......................................................................................Mezzosopran

Der SPIELER.................................................................................................................Tenor

Monsieur AZRAEL - ein zynischer Engel aus dem Jenseits...............................................Baß

Klarinette in B, Altsaxophon, Konzertakkordeon (Knopfgriff), Klavier,

Schlagzeug (ein Spieler): Xylophon - Glockenspiel - Große Trommel (tief, standard), Kleine Trommel, 3 Tom Tom (hoch, mittel, tief),

Triangel (hoch), Bongo (mittel), Wood Block, Große Trommel (Fußbetätigung), Becken (mittel, gehangen)

Violine, Kontrabaß

 

Gesamtdauer: ca 60 Minuten

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Am 11. Dezember, 2005 fand im Forum Trier die deutsche Erstaufführung der Tangooper Azrael von Dirk D’Ase statt. Wegen des grossen Erfolges bei Publikum und Presse wurde die Produktion auf  8 Vorstellungen verlängert.

Regisseur: Bruno Berger-Gorski

Dramaturgie: Dr. Peter Larsen

Mitglieder des Orchesters unter der Leitung von Christoph Jung

 

Pino: Laszlo Lukacs

Maria: Eva-Maria Günschmann

Spieler: Peter Koppelmann

Monsieur Azrael: Juri Zinovenko

Tangotänzer: Natalie Galitski und Reveriano Camü

 

Diese Premiere war ein überwältigender Erfolg. Es scheint nun klar zu sein dass Astor Piazzola's Tango-Oper "Maria de Buenos Aires" durch AZRAEL einen sehr ernst zu nehmenden Konkurrenten bekommen hat.

W.V.,   Opera Gazet

Die Zeit frisst die Menschen

 

Starker Theaterabend: Die deutsche Erstaufführung der Tango-Oper "Azrael" von Dirk D'Ase im Trierer "Forum". Mit Dirk D'Ases zeitgenössischer Tango-Oper „Azrael" liefert das Trierer Theater ein herausragendes Stück Musiktheater in idealem Ambiente ab. Die Zocker-Tragödie mit philosophischem Tiefgang findet im „Forum", dem ehemaligen Franzosenkino, statt.

Ein stimmungsvoller Einstieg in Dirk D'Ases Oper, die den Tango völlig anders interpretiert: nahe am Original zu Beginn, dann immer weiter weg - bis sie ihn fast verliert und nur noch Antje Steens wunderbarer Bandoneon-Klang an die ursprüngliche Musik erinnert. Die Geschichte, die D'Ase und seine Librettistin Silke Hassler in klarer, kraftvoller, unverschwurbelter Sprache erzählen, ist düster. Bruno Berger-Gorskis packende Inszenierung schärft die Konflikte, arbeitet die Unentrinnbarkeit des Schicksals deutlich heraus.

„Azrael" zwingt zum Mitdenken und Mitfühlen. Die Musik von Dirk D'Ase macht es der Regie aber auch leicht, denn in ihr steckt alles, was in der Handlung passiert: enorme Spannung, dramatische Brüche, raffiniert eingefangene Stimmungen. Lautmalerisch, illustrativ untermalt sie das Geschehen, wirkt aber dabei eigenständig, nie wie ein Film-Soundtrack. Klar: Es handelt sich um im besten Sinne zeitgenössische Musik, zur wohligen Berieselung ungeeignet. Man muss sich darauf einlassen. Aber es gibt keinen experimentellen Selbstzweck, der das Publikum vertreibt. Für Leute mit offenen Ohren ein idealer Einstieg in aktuelle Klassik. Die Intensität seiner Szenen lässt das Publikum schaudern. Langer, intensiver Beifall beim Publikum. Eine Produktion, die man nicht verpassen sollte.

Trierer Volksfreund, Dieter Lintz

Die Zeit frisst die Menschen (vollständiger Artikel)

 

Starker Theaterabend: Die deutsche Erstaufführung der Tango-Oper "Azrael" von Dirk D'Ase im Trierer "Forum".

Mit Dirk D'Ases zeitgenössischer Tango-Oper „Azrael" liefert das Trierer Theater ein herausragendes Stück Musiktheater in idealem Ambiente ab. Die Zocker-Tragödie mit philosophischem Tiefgang findet im „Forum", dem ehemaligen Franzosenkino, statt.

Im Grunde sieht es nicht viel anders aus als sonst. Ein DJ-Pult, locker aufgestellte Barhocker und hohe Tische. Selbst die altar-artige Holzplattform in der Mitte würde wahrscheinlich nicht sonderlich auffallen, wenn sich Triers junge Club-Szene hier auf dem trendigsten Dancefloor der Stadt trifft. Nur die Musik ist etwas ungewohnt, und der Dress-Code der Tänzer. Aus dem Lautsprecher klingt ein Sound, der nach Carlos Gardel und Astor Piazolla duftet, und mitten im Publikum drehen fünf Tanzpaare in schickem Zwirn ihre Runden. Wobei „Runden" natürlich Unfug ist angesichts der typischen Tango-Bewegungen mit ihrer unnachahmlichen Mischung aus Geschmeidigkeit und Spannung, aus Fließendem und Abruptem. Regisseur Bruno Berger-Gorski lässt dem Publikum Zeit, einzutauchen in die Welt des Tangos, sich einzulassen auf einen Rhythmus, der mindestens so sehr Lebensgefühl ist wie Tanz.

Ein stimmungsvoller Einstieg in Dirk D'Ases Oper, die den Tango völlig anders interpretiert: nahe am Original zu Beginn, dann immer weiter weg - bis sie ihn fast verliert und nur noch Antje Steens wunderbarer Bandoneon-Klang an die ursprüngliche Musik erinnert. Die Geschichte, die D'Ase und seine Librettistin Silke Hassler in klarer, kraftvoller, unverschwurbelter Sprache erzählen, ist düster. Sie handelt vom spielsüchtigen Zocker Pino, der sein Geld an einen Falschspieler verliert und am Ende gar die sexuellen Dienste seiner widerstrebenden Frau verhökern muss, weil er sonst nichts mehr hat, was er setzen könnte. Im ohnmächtigen Zorn über seine Situation verprügelt er brutal seine Frau,  die dabei ihr ungeborenes Kind verliert. Als er kürz darauf selbst, getötet wird, schickt ihn der Todesengel Azrael zurück auf die Erde, um seinen letzten Tag erneut zu durchleben und diesmal alles besser zu machen. Doch die „zweite Chance" misslingt, Pino versagt erneut. „Die Zeit frisst den Menschen", lautet der erste und der letzte Satz des Stücks.

Bruno Berger-Gorskis packende Inszenierung schärft die Konflikte, arbeitet die Unentrinnbarkeit des Schicksals deutlich heraus. Pino, von Laszlo Lukacs mit zerrauftem Haarschopf als nicht einmal unsympathischer geborener Verlierer verkörpert, lässt es an Einsicht und Besserungsbereitschaft nicht fehlen. Es gibt Momente der Klarheit, in denen für Sekunden Glück, Liebe, Vernunft möglich scheinen. Aber der zynische Todesengel Azrael, der Pino aufgegeben hat, ein anderer zu werden, schafft selbst die Bedingungen, die es dem Spieler in seinem einfachen Gemüt unmöglich machen, seine Frau und das ungeborene Kind beim zweiten Versuch zu retten. Berger-Gorski gelingen Momente
von enormer Dichte und großer Radikalität, ohne Firlefanz und Schaumschlägerei.

„Azrael" zwingt zum Mitdenken und Mitfühlen. Die Musik von Dirk D'Ase macht es der Regie aber auch leicht, denn in ihr steckt alles, was in der Handlung passiert: enorme Spannung, dramatische Brüche, raffiniert eingefangene Stimmungen. Lautmalerisch, illustrativ un­termalt sie das Geschehen, wirkt aber dabei eigenständig, nie wie ein Film-Soundtrack. Klar: Es handelt sich um im besten Sinne zeitgenössische Musik, zur wohligen Berieselung ungeeignet. Man muss sich darauf einlassen. Aber es gibt keinen experimentellen Selbstzweck, der das Publikum vertreibt. Für Leute mit offenen Ohren ein idealer Einstieg in aktuelle Klassik. Das liegt auch daran, dass die Tango-Combo aus Mitgliedern des Orchesters unter Leitung von Christoph Jung sich selbst übertrifft. Vor allem Fred Bodens Schlagzeugpart, der neben dem vertrackten Rhythmus auch enorme melodische Aufgaben übernehmen muss, ist brillant, aber auch Lothar Breitmeier, Martin Form, Jian Cao, Petar Entchev und Josef Bonn stehen um nichts nach. Jung sorgt auch für eine stets punktgenau funktionierende Kommunikation mit den im Saal verteilten, mitten im Publikum singenden Akteuren, die allesamt Bestleistungen abliefern. Allen voran Laszlo Lukacs zeigt, was für ein differenzierter und bewegender Menschendar­steller er sein kann, wenn die Regie ihn dazu treibt. Die Intensität seiner Szenen mit Eva-Maria Günschmann, die seine Frau Maria mit beängstigender Präsenz verkörpert, lässt das Publikum schaudern. Auch Peter Koppelmann als skrupelloser Falschspieler und Juri Zinovenko als Azrael lassen keine Wünsche offen. Natalie Galitski und Reveriano Camü vom Trierer Ballett sorgen gemeinsam mit Paaren der Trierer Tango-Assoziation „AG Tango gusto" für das passende Flair. Langer, intensiver Beifall beim Publikum. Eine Produktion, die man nicht verpassen sollte

                 Trierer Volksfreund, Dieter Lintz

 

Letzter Tango der Verlierer
Maxim: Azrael" von Dirk D'Ase uraufgeführt

Er, ist der Prototyp des Verlierers, des glücklosen Spielers, des armen Trinkers: Pino ein Anti-Held, der seine Liebe zu Maria und sein ungeborenes Kind verrät, im letzten Tango der Gewalt ertrinkt. Doch ein Todesengel aus dem Jenseits zieht bei Dirk D'Ases Oper "Azrael" die bösen Fäden und verweigert im plüschigen Maxim die Erläuterung. Die motorisch-strenge Rhythmik des Tango hat den Cerha-Schüler D'Ase zu seiner Oper für das Ensemble "NetZZeit" inspiriert. Erotik, Stolz und Tod werden in immer neuen Variationen und Verfremdungen hörbar. Der dornige Weg zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Hoffnung und Zynismus wird in der fein gewobenen musikalischen Struktur erfahrbar. Ein Tanz als zarter Todesbote, als Studie humanen Scheiterns.

Kurier, 1. Mai 1999, Pi