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Joseph Herzog

Oper in 3 Akten

Libretto: Robert Schindel         

© Noise Production Wien 2006/42

Ein Auftrag des Wiener Mozartjahres 2006 (Intendant, Peter Marboe)

 

Don Juan hat viele Gesichter. Der aus Antwerpen stammende österreichische Komponist Dirk D’Ase und der Wiener Dichter Robert Schindel haben sich in der, vom Wiener Mozartjahr 2006 in Auftrag gegeben Oper „Joseph Herzog“ vorgenommen, diese in einem monumentalem Epos zu ergründen. Die Kombination aus Schindels poetischer, wortgewaltiger, symbolträchtiger Sprache und D’Ases höchst emotionaler und farbenreicher Musik verspricht einen kontroversen, aufwühlenden Opernabend. Für seine sechste abendfüllende Oper wählte Dirk D’Ase mit Robert Schindel einen kongenialen Librettisten, der auf brillante Art und Weise einen Don Juan der Jetztzeit erschafft. Joseph Herzog ist die Geschichte eines Mannes, der nicht zu altern versteht. Es ist ein Meisterstück des Teufels, dass ausgerechnet der Mensch, der bei entscheidenden Paradigmenwechseln des 20. Jahrhunderts persönlich dabei war, sich selbst und seine Zeit nicht zu lesen verstand.

 

 

Es ist im Schneegehunds die Winterspur,

die Flocken fallen träge ins Gebell.

 

Da stapf ich durch. Nachtfrost beschweigt mein Haar.

Nur fort. Geschritten fort und fort.

 

Da hin, alsdort sich nun mein Kreis

sich bindet an den Herzakkord.

 

 

Robert Schindel, der als Jude den Holocaust überlebte, weil sich seine Mutter, bevor sie deportiert wurde (sie überlebte Auschwitz und Ravensbrück, sein Vater wurde im KZ Dachau ermordet) dazu entschloss, ihn als "Waise von asozialen Eltern unbekannter Herkunft" ausgerechnet in einem Kinderheim der nationalsozialistischen "Volkswohlfahrt" ab zu gegeben und D’Ase, der auf der Flucht aus seiner gewalttätigen Kindheit über viele Stationen schließlich in Schwarzafrika landete, wo sich sein ganz persönlicher Musikstil erst entwickeln konnte, beschäftigen sich in diesem Werk auch mit ihrer ganz persönlichen Geschichte. Dabei setzen sie sich über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg.

 

Joseph Herzog, ein reicher Erbe fällt angesichts seines bevorstehenden 60. Geburtstags in eine tiefe Verzweiflung: Alles, was er unternommen hat, ist ihm schließlich unter den Fingern zerronnen. Die vielen Frauen, die er geliebt hat, sind wie verschwunden, auch wenn viele von ihnen zum großen Geburtstagsfest kommen werden. Weil er so gelebt hat, versteht er nicht zu altern. Sein Freund Konstantin sucht ihn einige Tage vor dem großen Fest auf und macht ihm einen Vorschlag: Er möge die drei wichtigsten seiner Frauen nochmals verführen, auf die alten Fehler draufkommen und sie künftigst vermeiden. Bei welcher der dreien ihm das am besten gelingt, mit der sollte er alt werden in Ruhe und Frieden.

 

Die Oper spielt in Wien, Paris, Berlin und Prag in den Jahren 1962, 1967, 1989 und 2004, besteht aus 18 Szenen mit üppigen Verwandlungssequenzen und sprengt den üblichen Rahmen einer Opernproduktion. Viele Aspekte des Werkes versprechen Zündstoff.

 

Paris 1962, die Hauptstadt des Existentialismus, wo  Herzog auf Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir trifft, die Kommune K1 im Jahre 1967 in Berlin, wo er Dutschke kennenlernt, der ihm seine Befreiungstheorie nahe bringt und die Begegnung mit dem 470 Jahre alten Rabbi Löw, der ihm keinen neuen Menschen versprechen kann – bei der Erschaffung des Golems ist das schon einmal gründlich schief gegangen: aber einen Dichter in die Burg bringen (Václav Havel), der dem Land die Menschenrechte ermöglicht, das läge noch in seiner Macht- sind einige Stationen auf dem Weg unseres Protagonisten durch 4 Jahrzehnte der europäischen Zeitgeschichte.

 

Der Einsatz von Sprechchor, Chor und Instrumentengruppen wie Free Jazz Band, Klezmerensemble (mit Akkordeon und präparierter Violine), Trash Instrumenten, Singende Säge oder Straßenmusikanten erlauben eine Platzierung im gesamten Aufführungsraum. So hat die Free Jazz Band einen eigenen exponierten Auftritt, während in der Berliner K1 ein wilder, orgiastischer Tanz der nackten Kommunarden im Gange ist. Während der sanften Revolution in Prag 1989 und der Berliner Demonstrationen der 1968er Jahre formieren sich Sprechchöre zu einer gewaltigen Demonstration, die mittels Filmprojektionen unterstützt werden. Am jüdischen Friedhof in Prag trifft  Herzog auf den vierhundertsiebzig Jahre alten Rabbi Löw (Schöpfer des Golem und Retter der Prager Juden). Diese Szene ist gespickt mit Klezmer und Kantorengesang. Aufgrund der stetig variablen Wiederholung, verwendet D’Ase hier das Interlocking System als Symbolisierung der Begegnung mit der Ewigkeit (Rabbi Löw ist 470 Jahre alt und trifft auf den jungen Herzog und Deborah). Die rhythmische Technik des Interlocking Systems, das zu einem Merkmal von D’Ases Kompositionen geworden ist, basiert auf dem Grundprinzip afrikanischer traditioneller Musik. Technisch gesehen sind es vor allem die verschraubten Strukturen sogenannter inhärenter Pattern, die er in seine Kompositionen einfließen lässt: komplexe Rhythmen, die als solche nicht gespielte, aber wahrnehmbare virtuelle Linien hörbar werden lassen. Jedes Instrument spielt ein individuelles rhythmisches Muster, im Zusammenspiel aller Instrumente werden die Rhythmen verwoben und ergeben einen eigenen, neuen Rhythmus. Diese Technik verwendet D’Ase auch in der Klanggestaltung, indem individuelle Melodien zu einer neuen virtuellen Klanglichkeit zusammenwachsen.

 

Das musikalische Material der Oper wird mit zeitgemäßen Klängen aus Pop, Avantgarde und Volksmusik ergänzt. Neben den Hommagen an Arnold Schönberg und Anton Webern verwendet D’Ase an symbolträchtigen Stellen Musikzitate von Pierre Boulez „Le marteau sans maitre“, ein Wiener Heurigenlied „Mei Naserl is so rot, weil I so blau bin“ oder „Smoke on the water“ von Deep Purple.  D’Ase scheut sich auch nicht, sich über sein eigenes Genre lustig zu machen, so gibt es eine Sequenz in der Oper wo Herzog seinem Freund komplexe zeitgenössische Musik vorspielt.  Die „Supermoderne“ ist ihm dann aber schnell zu komplex, verständnislos wird das Intermezzo abrupt abgebrochen.

 

Nach all diesen Strapazen sitzt Herzog wieder in seinem Ohrensessel und verflucht sein Leben. Da läutet es, eine wunderbare Frau erscheint. Sie, Maja, ist die vollendete Komposition aus seinen verlorenen Frauen. Herzog lehnt sich überglücklich zurück. Hernach wacht er auf. Es war wohl nur ein Traum. Konstantin und die Geburtstagsgäste treffen ein und während Herzog gefeiert wird, stirbt er von allen unbemerkt mit dem Champagnerglas in der Hand. Als Herzogs Sohn Yassir-Ché bemerkt, dass sein Vater gestorben ist, verstummen die Gäste. Unerwartet erscheint Maya, sie verkündet auf bezaubernde Art, dass sie Herzog zu sich geholt hat. Alle verneigen sich vor Maya und dem, was sie verkörpert: die Liebe.

 

In allen Opern von Dirk D’Ase spielt, neben seiner ganz individuellen Kompositionsweise mit Interlocking System, Klang-, graphische- und Zahlensymbolik, auch das Wort eine ganz zentrale Rolle. Der Text bildet das Skelett einer Oper, das nur dann, wenn es stark und ebenbürtig ist, vermag die Musik, also das Fleisch eines gesamten Körpers zu tragen und somit zu einem Ganzen zu formen. So entstanden viele Werke in direkter Zusammenarbeit mit namhaften Dichtern und Dramatikern wie Peter Turrini, Hugo Claus, Pavel Landovsky, Gustav Ernst oder Robert Schindel. Für die Komposition an Joseph Herzog zog sich D‘Ase paradoxerweise für eineinhalb Jahre just in die Kartause Mauerbach bei Wien zurück, ein Ort wo Religion und Moral aufeinander stoßen. Dort lebte und arbeitete er in einer winzigen Zelle ohne Verbindung nach außen, um sich in dieser selbst auferlegten Klausur ausschließlich der Arbeit an der Oper widmen zu können.

 

Die Auslotung des Archetypus Don Juan, der als Gefangener des eigenen Freiheitswahns schließlich an sich selbst scheitert und nur im Tod die Erlösung zu finden vermag, bietet eine spannende und gewagte Herausforderung für die Umsetzung dieser über 40 jahrelangen Reise, die am Ende in der Erlösung, im Tod mündet.

 

© Copyright by Noise Production Wien, 2012

 

Grundstrukturen der Klangsymbolik

in der Oper „Joseph Herzog“ von Dirk D’Ase

 

Die Klangsymbolik ist das Fundament der Kompositionstechnik von Dirk D’Ase, die in jeder seiner Opern exponiert verarbeitet wird. Die Oper "Joseph Herzog", in der es aufgrund der Geschichte und des dramaturgischen Verlaufs besonders darum geht, eine Vielzahl an Personen und Schauplätzen klar zu differenzieren, basiert zur Gänze auf diesem System. Im vorliegenden Text findet sich nur eine Auswahl der wichtigsten Klangsymbole und Kompositionstechniken, die in der Oper Verwendung finden. D’Ase hat die verschiedenen Klangsymbole, die häufig auf Zahlensymbolik basieren, wie folgt benannt:

 

Das Don-Juan-Syndrom wird durch die Zahl 11 symbolisiert. Seitens der Religion gibt es eine Reihe von Zahlen, denen eine besondere symbolische Bedeutung beigemessen wird. Die 11 gilt dabei als Zahl der Maßlosigkeit, der Sünde und als teuflische Zahl. Im Mittelalter kennzeichnete sie alle Menschen, die außerhalb der Sittengesetze standen. Sie überschreitet nicht nur das, was anhand der zehn Finger menschlicher Hände, sondern auch in der Zahl der gottgegebenen "Zehn Gebote" fassbar ist. Heute gilt die Zahl 11 allgemein als närrische Zahl. Kompositorisch wird sie durch eine Reihe von 11 Tönen eingebettet in gezielte formale Strukturen dargestellt. So ist z.B. das Vorspiel zur Gänze von der Zahl 11 durchtränkt. Es besteht aus 2x11 Gruppen zu je 11 Viertelschlägen. Diese 11-er Strukturen sind, neben der Einbindung des Julie und Katarina Materials, wiederum durchzogen von 11-er Reihen und Strukturen.

 

Die Liebessehnsucht wird durch eine 12-er Reihe symbolisiert, die mit einem Halbton anfängt und immer um einen zusätzlichen Halbton erweitert wird (1/2, 1, 1 ½, 2, 2 ½ Töne usw. bis zur Septime). Die Zahl 12 symbolisiert die Vollkommenheit, die Vergrößerung der Intervalle innerhalb der Reihe die Sehnsucht nach ihr. Herzogs Liebessehnsucht ist die Sehnsucht nach der Vollkommenheit in der Liebe. Er wird sie als Lebender jedoch nie erreichen.

 

Die Veränderungssehnsucht wird durch eine drängende sich aufwärts bewegende Doppelreihe hörbar gemacht. Diese Reihen sind nicht an Zahlen oder Strukturen gebunden, wodurch Herzogs Unentschlossenheit, wie er die Veränderungen herbeiführen soll, symbolisiert wird.

 

Die Versöhnung. Konstantin ist Herzogs Freund und Vertrauter. Er wird symbolisiert durch zwei Akkorde, zu je 6 Tönen, die mittels harmonischer Wendungen mit einander verbunden werden. In der Zahlensymbolik harmonisiert, versöhnt und verbindet die 6, was dem Wesen Konstantins entspricht.

 

Die Existenz. Die erste Frau, die Herzog wieder trifft ist Julie. Sie steht für die Existenz. Im Existentialismus geht die Essenz der Existenz voraus und steht somit, im Gegensatz zum Determinismus, für eine physische Betrachtung des Lebens. Dem Existentialismus kann man daher am ehesten eine Zahl zuordnen, die eine physisch-kosmische Bedeutung hat. Die 4 ist die Zahl des irdischen Universums und der Orientierung (4 Windrichtungen, 4 Tagesabschnitte, 4 Elemente, 4 Mondphasen usw.). Die Klangsymbolik der Julie besteht aus vier Gruppen, die je mit einem längeren Ton anfangen und durch vier weitere Töne vervollständigt werden. Die Reibungen, die durch die Aufwärtsbewegung entstehen, symbolisieren die Unreife und die Suche, die im Leben eines Adoleszenten stattfinden.

 

Der Existentialismus. In Paris treffen Julie und Herzog auf Jean-Paul Sartre, der als Vater des Existentialismus gilt. Sartres musikalische Symbolik ist ein existentialistischer Akkord bestehend aus 10 Tönen. Seine musikalische Sprache ist seriell. Die Reihen werden kanonisch vom Orchester übernommen und nach strengen Regeln abgespult, außer wenn er emotional wird (er will Julie ins Bett bekommen) dann weicht Sartre von seinem seriellen System ab. Ständig wird das Sartrematerial im Orchester kanonisch verarbeitet, was sich aus der Tatsache ergibt, dass Sartre an dieser Stelle seine Weisheiten nur deshalb stetig wiederholt, um so zu beeindrucken, dass Julie auf seine Begierde einsteigt. Sie reagiert aber mit ablehnender Enttäuschung.

 

Hommage und Zitate. Neben den Hommagen an Arnold Schönberg und Anton Webern (siehe Emanzipation) verwendet Dirk D’Ase an symbolträchtigen Stellen Musikzitate von: Pierre Boulez  Le marteau sans maitre (Librettostelle : „die Supermodernen“ - Auftritt Konstantin, Akt 1/ Szene 6), ein Wiener Heurigenlied Mei Naserl is so rot, weil I so blau bin (Herzog und Julie als zwei Wiener Strassenmusikanten in Paris - Akt 1/ Szene 2) und Deep Purple Smoke on the water (Juli opponiert gegen das konservative Heurigenlied).

 

Die Emanzipation. Katerina ist die zweite Frau, die Herzog versucht zurück zu erobern. Sie steht für die Emanzipation. Die Emanzipation fand mit der Dodekaphonie ihren endgültigen Einzug in die Musik. Jede Note steht für sich und hat keine untergeordnete Funktion mehr. Dafür regiert Strenge und formale Konsequenz. Katarinas Auftritte sind, was die Gesangsstimme betrifft, streng dodekaphonisch. So gibt es eine Hommage an Arnold Schoenberg (Verwandlungsmusik 6) und eine Hommage an Anton Webern (Akt 2/ Szene 6). Bei der Hommage an Anton Webern handelt es sich um die formale Adaption seines Themas und 1. Variation aus dem 2. Satz der Symphonie Op. 21. Dabei wurde die Webern-Reihe durch die Katarina-Reihe ersetzt und eingearbeitet.

 

Der Idealismus. Gemeinsam mit Katarina befindet sich Herzog in der Kommune 1 (K1) in Berlin. Dutschke, der die K1 zwar nicht gegründet hat, jedoch für ihre Entstehung mitverantwortlich war, gilt als die Leitfigur schlechthin für die 68-er Bewegung in Deutschland. Der Versuch, die damalige Gesellschaftsordnung auf den Kopf zu stellen, um eine völlig neue Art des Zusammenlebens zu gestalten, ist auf lange Sicht gesehen, gescheitert. In der Oper ist Dutschkes Klangsymbolik: 11+1. Die 11 ergibt sich aus zweierlei Hinsicht. Der Buchstabe K (von K1) ist der 11. Buchstabe im Alphabet, gleichzeitig gilt die 11 als närrische Zahl (siehe auch Don-Juan-Syndrom). Die 1 (von K1) ist der fehlende Link zur 12, die Zahl der Vollkommenheit. Die 11 als Zahl zwischen Tradition (10) und Vollkommenheit (12) steht somit für die Unvollkommenheit, für das ideologische Scheitern der neuen Gesellschaftsphilosophie. Außerdem hat Dutschkes   11-er Reihe nur 10 verschiedene Töne – der vierte und elfte Ton sind die Selben. Als Symbol der Unabwendbarkeit des Schicksals reduziert sich somit die Gesamtzahl der verschiedenen Töne von 12 (11+1) wieder auf 11. Auditiv gestaltet sich die Dutschke Reihe so, dass die 11 Töne rhythmisch nacheinander erklingen und der zwölfte Ton erst nach einer kurzen Pause, wie die zu spät gekommene Vollkommenheit, nachklingt.

 

Der Free Jazz. In der Berliner K1 findet der Tanz der nackten Kommunarden statt. Dieses wilde, orgiastische Tanzen wird von Free Jazz Musik unterstützt. Der Free Jazz soll hier den Zeitgeist der 1968-er symbolisieren; frei von jeglichen Zwängen und Strukturen wird drauflos musiziert. Die Grundreihe dieses wilden Durcheinanders unterliegt aber der Dutschke-Reihe, wiederum als Symbol dafür, dass auch die größte und gewagteste Freiheit eine Struktur hat.

 

Die Hoffnung. Mit Deborah startet Herzog noch einen letzten Versuch, die Frau seiner Träume zu finden. Deborah verkörpert die Hoffnung. Es liegt auf der Hand für eine Jüdin einen mosaischen Bezug zur Hoffnung her zu stellen. Diese findet man in der Kabbala, der jüdischen Geheimlehre. Die Zahl 17 steht dort für Liebe, Glaube, Hoffnung. Deborahs 17-er Reihe besteht aus drei Gruppen, die insgesamt eine beschwingte aufsteigende Bewegung vollziehen. Die erste Gruppe, aus 5 Tönen bestehend, symbolisiert den Glauben, die zweite und dritte, je aus sechs Tönen bestehend, symbolisieren die Liebe und die Hoffnung.

 

Der Davidstern. Am Prager jüdischen Friedhof treffen die beiden auf Rabbi Löw. Als Inbegriff der jüdischen Musik steht der Klezmer und das Symbol des Judentums ist der Davidstern. Markant am Davidstern sind die sechs Zacken die durch zwei in sich verdrehte Dreiecke entstehen. 6 ist auch die Zahl der Schöpfung und des Kosmos. Die Klezmermelodie, die als Klangsymbol Rabbi Löws fungiert, besteht aus zwei mal 6 Tönen. Der Gesang Rabbi Löws ist dem Kantorengesang nachempfunden, ohne dass in diese Tradition eingegriffen wurde. Das Klezmer- und Kantorenmaterial ist durchtränkt von einer Linie, die D'Ase die "jiddische Schleife" nennt (kleine Terz gefolgt von einer kleinen Sekunde).

 

Die Verwendung des Interlocking Systems (Prager Friedhof, Akt 3/ Szene 2) symbolisiert, aufgrund der stetig variablen Wiederholung, die Begegnung mit der Ewigkeit (Rabbi Löw ist 470 Jahre alt und trifft auf den jungen Herzog und Deborah). Die rhythmische Technik des Interlocking Systems, das zu einem Merkmal von D’Ases Kompositionen geworden ist, basiert auf dem Grundprinzip afrikanischer traditioneller Musik. Technisch gesehen sind es vor allem die verschraubten Strukturen sogenannter inhärenter Pattern, die er in seine Kompositionen einfließen lässt: komplexe Rhythmen, die als solche nicht gespielte, aber wahrnehmbare virtuelle Linien hörbar werden lassen. Jedes Instrument spielt ein individuelles rhythmisches Muster, im Zusammenspiel aller Instrumente werden die Rhythmen verwoben und ergeben einen eigenen, neuen Rhythmus. Diese Technik verwendet D’Ase auch in der Klanggestaltung, indem individuelle Melodien zu einer neuen virtuellen Klanglichkeit zusammenwachsen.

 

Die Passacaglia. In der 2. Szene des Epilogs erscheinen im Traum Herzogs drei Frauen, die eingebettet in einer Passacaglia einen dreistimmigen Kanon vortragen. Diese Passacaglia gestaltet sich nach einem grafisch-symbolischen Konzept. Die Summe der Zahlensymbolik der drei Frauen, zusammengestellt aus 4 (Julie) + 12 (Katerina) + 17 (Deborah) = 33:3 (3 Frauen) ergibt die Zahl 11 (Don-Juan-Syndrom-Zahl). Auf diesem Fundament ist die gesamte Passacaglia aufgebaut indem ein Segment, das den Notenwert von 11 Halben (Don-Juan-Syndrom-Zahl) hat, sich 12-Mal (Katerina-Zahl), als Passacaglia wiederholt. Dahinein baut sich die Dedorah-Reihe (17) 11-mal auf die 11-er Reihe des Don-Juan-Syndroms auf. Nach jeder dritten Wiederholung der Segmente (Länge 11 Halbe) erklingt die Julie-Reihe (4) insgesamt 4-mal. Im selben Verlauf erklingt im Glockenspiel, Akkordeon, Klavier und Crotales 12-mal die Katarina-Reihe (12), jeweils beginnend auf den 12 Tönen derselben Reihe. Darüber gestaltet sich, von den drei Frauen vorgetragen, ein variabler Kanon. Der Kanon ergibt sich daraus, dass alle drei denselben Text singen und somit dieselbe Aussage machen. Die kleinen Variationen innerhalb der einzelnen Stimmen symbolisieren die Individualität jeder einzelnen Frau. Diese von Dirk D’Ase neu entwickelte Kompositionstechnik verwendete er in abgeänderter Form bereits in seiner vorangegangenen Oper über Albert Einstein.

 

Maya ist die letzte Frau in Herzogs Leben. Sie verkörpert die Vollkommenheit und ist die Synthese von Herzogs Idealvorstellungen einer Frau. Die drei Frauen, die Herzog im Laufe der Oper aufsucht, werden hier als mathematische Potenz der 3 (3x3=9) vereint. Die 9 symbolisiert die Vollkommenheit und kann mit jeder beliebigen Zahl multipliziert werden, die Quersumme ergibt immer 9. In Mayas Gesangsstimme gestaltet sich die Neunerstruktur mittels graphisch angeordneter melodischer Dreiecke, die jeweils zu Dreiergruppen zusammengefügt werden (3+3+3).  

 

Neben dem Gebrauch von Akkordeon und ungewöhnlichen Schlagzeuginstrumenten wird in der gesamten Oper eine Singende Säge verwendet. Der Klang der gestrichenen Säge (im Gegensatz zur Verwendung der Säge als Schlagzeuginstrument bei Simone De Beauvoir) symbolisiert Herzogs Seelenruhe. Diese bedingungslose seelische Befriedung vereint sich, in den letzten Takten der Oper, mit der Stimme Mayas um sich schließlich, im letzten Atemzug, vollkommen in sie auf zu lösen.

 

Bei allem Symbolreichtum und den vielen musikalischen Materialien ist es Dirk D’Ase besonders wichtig beim Zuhörer ein eindrückliches und umfassendes Bild von den Charakteren und Schauplätzen der Oper zu zeichnen. D’Ase ist aber ein Freigeist und geht bei aller struktureller und inhaltlicher Sorgfalt im Sinne einer musikalischen Charakterisierung oft über die selbst auferlegten Regeln hinaus und lässt die Musik für sich sprechen wie ein Fluss, der manchmal aus geologischen Gründen den Lauf ändern muss, um an einer unerwarteten aber logischen Stelle wieder aufzutauchen.

© Copyright by Noise Production Wien, 2006

 

Besetzung

 

Joseph Herzog……………………………………….…………………………………………...........…..Hoher Bariton

(Privatier, reicher Erbe, 18, 23 und 59 Jahre, schlank, soigniert)

Konstantin………………………………………………………………………………………………………..........…..Tenor

(Journalist, 52 Jahre, bester Freund des Herzog seit vielen Jahrzehnten)

Juliane (Juli)……………………………………………………………………………………………………............Sopran

(Hausfrau, früher Philosophielehrerin, 16 und 56 Jahre, erste Liebe des Herzog)

Katharina….……………………………………………………………………………………………………...........…Sopran

(Maklerin, 17 und 57 Jahre, große Liebe des Herzog in der 68-Zeit, Mutter seines Sohnes)

Deborah…………………………………………………………………………..………………...........………Mezzosopran

(Filmemacherin. 21 und 36 Jahre, Eltern flüchteten 1968 mit ihr im Mutterleib aus Prag nach Wien)

Yassir-Ché……………………………………………………………………….…………………………….........…….Tenor

(Sohn von Herzog und Katharina, drogenkrank, 36 Jahre)

Jean-Paul Sartre (Philosoph und Schriftsteller, 57 Jahre)……………………..........……*Baß-Bariton

   Rudi Dutschke (Studentenführer, 27 Jahre)

     Rabbi Löw (Rabbiner zu Prag, 470 Jahre, angeblicher Schöpfer des Golem, Retter der 

                                        Prager Juden, wegen seines guten Einvernehmens mit Rudolf II.)

 

Maya (besonders attraktiv, Jugend und Reife verkörpernd)......................................Mezzosopran

Simone de Beauvoir (Philosophin, Schriftstellerin, Freundin von Sartre, 57 Jahre)..........**Alt

    Silvia (alte, beste Freundin von Herzog, 55 Jahre, Privateuse)   

Passanten, Studenten, Polizisten, Demonstranten, Geburtstagsgäste...........………………Chor

Komparsen

*) Die drei Rollen sollten vom selben Sänger gesungen werden

**) Diese beiden Rollen sollten von der selben Sängerin gesungen werden

Spielt in Wien, Paris, Berlin, Prag in den Jahren 1962, 1967, 1989 und um 2004

 

Orchester 

2 Flöten (1.und 2. auch Piccoloflöte), Altflöte, 2 Oboen, Englisch Horn,

2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, Kontrafagott

3 Trompeten, 4 Hörner, 3 Posaunen, 1 Basstuba,  

Harfe, Akkordeon (Knopfgriff), Klavier (auch Celesta), Singende Säge, 4 Schlagzeuger

Streicher (gross besetzt)

 

       

 

   Robert Schindel

 

 

       

 

 

 

Robert Schindel wurde 1944 in Bad Hall bei Linz als Sohn jüdischer Kommunisten geboren. Seine Eltern, die im Widerstand tätig waren, wurden verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Seine  Mutter überlebte Auschwitz und Ravensbrück, sein Vater wurde im KZ Dachau ermordet. Robert Schindel überlebte unter falschem Namen in einem Kinderheim der nationalsozialistischen "Volkswohlfahrt". 1945 kehrte seine Mutter nach Wien zurück und fand ihren Sohn wieder, den sie vor der Deportation mit fremder Hilfe als "Waise von asozialen Eltern unbekannter Herkunft" ausgerechnet in einem Wiener Kinderheim der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) hatte verstecken können.

Schindel begann 1959 eine Buchhändlerlehre im Globus-Verlag, die er allerdings abbrach, um ein unstetes Reiseleben quer durch Europa zu beginnen. Von 1961-1967 war er Parteimitglied der KPÖ. 1967 holte er die Matura nach und begann Jus und später Philosophie an der Universität Wien zu studieren. 1968 war er führendes Mitglied der "Kommune Wien", 1969 gründete er die literarische "Gruppe Hundsblume".

Seit 1986 als freier Schriftsteller in Wien. Zu seinen wichtigsten Werken zählen: Ohneland; Geier sind pünktliche Tiere; Im Herzen die Krätze; Ein Feuerchen im hintennach. 1992 gewann er mit dem Roman "Gebürtig" auch als Prosaautor ein breites Publikum. 1994 folgte unter dem Titel "Die Nacht der Harlekine" ein weiterer Prosaband. Nach den gesammelten Essays "Gott schütze uns vor den guten Menschen" (1995) erschien 2000 der Gedichtband "Immernie. Gedichte vom Moos der Neunzigerhöhlen". Im Jahr 2003 erschienen die Gedichtbände "Nervös der Meridian" sowie "Zwischen dir und mir wächst das Paradies". 2004 kam der Band "Mein liebster Feind" mit Essays, Reden und Miniaturen heraus sowie der Gedichtband "Fremd bei mir selbst".

Auszeichnungen:

1992 den Förderpreis des österreichischen Staatspreises für Literatur

1993 den Erich Fried Preis

2000 den Eduard Mörike Preis

2003 den Preis der Stadt Wien für Literatur

2005 Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien

Seine Werke erscheinen im Surkamp Verlag.  www.schindel.at