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ÖMZ 06/2003 SCHWERPUNKT „Fremd bin ich eingezogen“
Komponist Dirk D’Ase, ein Weltbürger in Österreich.

„Ich kann tun, was ich will. Aber ich vermag nicht, es zu wollen“ Mit Schopenhauers Zitat kann ich wohl am treffendsten meine Lebenshaltung und Philosophie charakterisieren. Ich wurde in Antwerpen geboren und riss vor mehr als 20 Jahren von zuhause aus, um in einem fremden Land ein neues und eigenständiges Leben zu beginnen. Meine Absicht war es eigentlich in die Berge zu ziehen. Es zog mich in eine Landschaft, die gar nichts mehr mit den damals vertrauten, sanft wiegenden Hügeln Brabands zu tun haben sollte. Als der Zug in Wien anhielt, war die Überraschung groß; es gab keine Berge. Schlimmer noch, der nächste Berg war sehr, sehr weit entfernt. Ein Zurück gab es aber nicht mehr, da ich in Flandern bereits alle Zelte abgebrochen hatte. Damals ging es ums nackte überleben und so fing das Abenteuer Österreich, ohne Kenntnis der Sprache, ohne Berge aber mit ein paar Taschen und einem Koffer in der Hand an.

Dementsprechend gestaltete sich der Einstieg in ein selbständiges Leben äußerst schwierig. Auf der Flucht vor den Peinigern meiner Kindheit waren die ersten Jahre in Wien dem seelischen und sozialen überleben gewidmet. Menschenfremd und am Anfang besonders kontaktunfähig suchte ich einen gangbaren Weg durchs Leben und durch das Studium. Die mentalen Strapazen der ersten Jahre in Wien blieben nicht ohne Auswirkung und nach erfolgreichem Abschluß meines Studiums bei Friedrich Cerha trat ich die bereits vertraute Flucht nach vorne an. Diesmal zog es mich ins südliche Afrika, wo ich auf eigene Faust mehrere Monate lang in Wüsten, Savannen, Urwäldern und Townships unterwegs war. Auf der 2. Reise, die ein halbes Jahr dauerte, entdeckte ich meine Faszination für Klangfarben und rhythmische Muster und je länger ich den Kontinent durchquerte desto klarer drängte sich die Idee auf, eine Oper, die sich mit der Thematik „Afrika“ auseinandersetzt, zu komponieren. „Hirngespinste!“, mutmaßte ich damals und ließ die Idee eine Idee sein.

Warum ich den schwarzen Kontinent überhaupt wieder verließ, kann ich heute noch nicht ganz erklären. Ich war gerade dabei, Europa endgültig den Rücken zu kehren und ein neues Leben im südlichen Afrika zu beginnen, als der erste Orchesterauftrag des Flandernfestivals und eine Aufführung an der Brüssler Oper völlig unverhofft einlangten. Nach und nach erhielt ich bedeutende Aufträge von den größten Festivals und Häusern Flanderns. In kürzester Zeit war ich in dem Land etabliert, das ich vor Jahren fluchtartig verlassen hatte. Während der ganzen Zeit war aber Wien mein Refugium, obwohl ich dort noch nicht im Musikleben integriert war. Während der Arbeit an den bestellten Werken begann ich mit der Niederschrift meiner musikethnologischen Magisterarbeit über süd-ost-afrikanische traditionelle Musik, die ich in kurzer Zeit mit Auszeichnung abschloß. Die Überraschung war gross als das Angebot, eine große Oper für die Kulturhauptstadt Europas (Antwerpen 93) zu schreiben, einlangte. Da lebte die alte Afrika-Idee wieder auf. Prompt verliess ich Wien und zog für ein Jahr nach New York, um mit dem Librettisten ( übrigens hiess er Steyermark und hatte keine Ahnung, wo Österreich liegt) zu arbeiten und die Oper dort zu vollenden.

Die Uraufführung der Oper Red Rubber zur Eröffnung des Opernfestivals der Kulturhauptstadt Europas, Antwerpen’93 brachte den erneuten Bruch mit dem Land meiner Kindheit. Während die internationale Presse hellauf begeistert auf die Uraufführung des Erstlingswerkes reagierte, wurde die Oper im eigenen Land in der Luft zerfetzt, wohl auch deshalb, weil sich der Inhalt der Oper kritisch mit der Kolonisationspolitik des Belgischen Königs Leopold II auseinander setzte. Plötzlich gab es Anfeindungen und persönliche Angriffe gespickt mit dem in Flandern üblichen Zynismus. Erneut brach ich alle Zelte ab, diesmal nicht aus familiären, wie beim ersten Mal, sondern aus künstlerischen Gründen.

Mit diesem Schritt startete aber ein neues Kapitel in meiner Arbeit. Die intensive Auseinandersetzung mit der Funktion der Neuen Musik im Gefüge des Kulturlebens begann. Eine Auseinandersetzung die gerade in Österreich, mit seinen Schatzkammern der „alten“ und „neuen“ Musiktraditionen ein enormes Spektrum an Betrachtungen erlaubt. Ein Land wo alt und neu so unverrückbar nebeneinander stehen und nicht selten auch aufeinander prallen, schafft den ideale Nährboden um die Musik in seiner Entwicklung zu hinterfragen und voran zu treiben. Ohne es zu bemerken war ich bereits dabei, meinen Weg in die Österreichische Musiklandschaft zu finden. 1995 ergab sich die Bekanntschaft mit der freien Opernszene in Wien, die wohl weltweit ohne Beispiel ist. Vom Wiener Operntheater kam der Auftrag für die 1. Symphonie. Es folgten prompt drei Opernproduktionen mit der Wiener Taschenoper/Transparant (DIARY OF RONALD HANSEN), NetZZeit (AZRAEL) und der Neuen Oper Wien (ARREST). Das Wiener Konzerthaus und der Musikverein folgten mit Kammermusik- (Burning Day) und Orchesteraufträgen (Klarinettenkonzert) und bald auch das Wiener Klangforum, das ein Violinkonzert in Auftrag gab. Mit Sylvain Cambreling am Pult wurde das Werk im Wiener Konzerthaus aus der Taufe gehoben.

Da wurde klar, wie unterschiedlich die Traditionen der verschiedenen Länder gelagert sind. Während in Flandern die bildende Kunst und der Tanz vollständig etabliert sind, gehört in Wien die E-Musik zum Alltag. Allein die Spielorte meiner Aufführungen in Wien transportierten meine Musik in die verschiedensten Bereiche dieser Stadt. Von Konzertsälen wie Musikverein und Konzerthaus war bereits die Rede, nicht aber von der Uraufführung der Oper AZRAEL im Bordell gegenüber der Staatsoper, von Aufführungen in der psychiatrischen Anstalt „Baumgartner Höhe“, in einem ausrangierten Quartier, uvm. In Wien kann Musik überall zum Leben erweckt werden und sie passt auch überall hin, als ob sie dort zuhause wäre. Auch herrschte hier eine völlig andere Art von Professionalität. Mit deutlich weniger Mitteln wurde deutlich mehr zustande gebracht. Ich hatte mich hier trotz der grösseren Konkurrenz von Anfang an viel mehr zuhause gefühlt als in Flandern, wo ich beruflich weit mehr etabliert war. Die Zukunft konnte aber dort nicht liegen. Umso mehr freute es mich auch, als ich für die Saison 2003/04 als Composer in Residence im Wiener Musikverein bestellt wurde.
Von Wien aus startete ich auch meine internationale Laufbahn, die mit der UA meiner Turrini Lieder an der New Yorker Carnegie Hall ihren Anfang nahm. Mit der Wiener Produktion von ARREST öffneten sich die Türen nach Deutschland. Nach erfolgreichen Aufführungen im Nachbarland folgte prompt ein neuer Opernauftrag zum 125 Jahr Jubiläum von Albert Einsteins Geburtstag. Die Uraufführung findet im März 2004 in Ulm statt und zum 50. Todestag Albert Einsteins sind im Jahr darauf weitere Aufführungen in Amerika geplant.

Die Atmosphäre Wiens mit allen Spannungen war für mich der richtige künstlerische Nährboden. In diesem Rahmen traf ich mitte der achtziger Jahre auf meinen wohl wichtigsten Lehrmeister, Luciano Berio. Er war es, der mich auf die inhärenten Charaktereigenschaften in der Musik aufmerksam gemacht hat und mir Mut machte meinen Weg mit den Klangfarben weiter zu erforschen. So lernte ich mit meiner Musik viel von dem emotionalen Kampf, der in meiner Person tobt, wieder zu geben. Ich begann meine Erregung nach außen zu transponieren und machte die Musik dadurch aufgeladener, dichter, aber setzte dies immer wieder in Kontrast zu langsamen Kantilenen; Geschwindigkeit und Dichte wurden die Leitworte über mein Musikschaffen. Ich fing an, wie besessen für die Gestaltung einer neuen Musiksprache für meine Sänger, meine Figuren, meine Musiker und meine Geschichten zu arbeiten. Wien war über die ganze Zeit immer wieder mein Ruhepol und Anker. Trotz vieler Versuche diese Stadt, die mich so geprägt hat zu verlassen, zog es mich immer wieder zurück.
Dieses Leben hätte keine Chance gehabt sich so extrem zu entwickeln wäre ich nicht vor mehr als zwanzig Jahren, auf der Suche nach den weißen Bergspitzen, in Österreich gestrandet. Hier fand ich die Toleranz, Professionalität und eine harte Schule die mir halfen mich und meine Musik verwirklichen zu können. Das Land der Berge ist über die vielen schwierigen Jahre hinweg zur musikalischen Heimat geworden.