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Artikel von Ljubisa Tosic über Dirk D'Ase

in der Zeitschrift des Wiener Musikvereins anlässlich der UA des Cellokonzerts

Die virtuose Klarinette als Jazz-Schlagzeug

Der Komponist Dirk D’Ase im Gespräch

 

Gleichsam als Knecht Ruprecht in eigener Sache, also mit einem gefüllten Rucksack an Geschenken – so ist ein glücklicher Dirk D’Ase kurz vor Weihnachten aus Ulm nach Wien zurückgekehrt. Die jüngste, bereits vierte Oper des im flandrischen Antwerpen in Belgien geborenen Wahlwieners, "Arrest", nach dem Theaterstück des Prager Dissidenten Pavel Landovsky, ist nämlich auch dort mit großem Erfolg in Szene gegangen, zwei Monate nach der Uraufführung durch Walter Kobéras "Neue Oper Wien", die hierzulande Publikum und Presse beeindruckt hatte. Doch noch andere Früchte trug diese geglückte Koproduktion.

 

Albert Einstein auf der Opernbühne?

 

Von begeisterten Briefen Mitwirkender weiß D’Ase nämlich ebenso zu berichten, wie von einem bedeutenden neuen Auftrag: 2004 soll in Ulm eine neue, große Oper das Rampenlicht der Welt erblicken. Vielleicht wird sie von einem berühmten Sohn der Stadt handeln: Albert Einstein. Dieser, in Mußestunden Geiger beachtlichen Niveaus, hätte möglicherweise D’Ases Musik spontan ebenso geliebt wie etwa der Akkordeonist im Ulmer "Arrest"-Ensemble, der nun unbedingt dessen Akkordeonkonzert aufführen möchte. Denn immer wieder fährt des Komponisten stets hörbare Lust am "gut" Klingenden, am saftig Virtuosen, passionierten MusikantInnen begeisternd in die Glieder. "Alles, was ich mache, suche ich im und aus dem Leben", formuliert Dirk D’Ase eine Art künstlerisches Credo, das nicht nur in den vitalen Zügen seiner Instrumentalmusik verwirklicht scheint, sondern auch in den menschlich-zwischenmenschlichen Konflikten, mit denen D’Ase, ständig dem Dramatischen nachspürend, zuletzt in "Arrest" sich auseinandergesetzt hat: Die Welt, die Menschen, das Leben – alles basiert für ihn auf Emotionen, die zu bändigen sind oder auch nicht, denen man sich jedenfalls stellen muß – auch wenn das für viele ein Problem darstellt.

 

"Wozu gibt es dann Musik?"

 

"Gerade die Neue Musik wurde lange Zeit blockiert durch die Dogmatisierung der Avantgarde der 50er und 60er Jahre", klagt D’Ase, und nimmt noch heute von vielen (und maßgeblichen) Seiten skeptische Reserviertheit wahr – man könne doch nicht Musik schreiben, die man "einfach so hören kann". "Pfui!" schimpft der Komponist da, "wozu gibt es dann Musik?" Die direkte, unmittelbare Kommunikation ist es, was D’Ase interessiert, was er erreichen und auch selbst erleben will, wenn er im Publikum sitzt – bei den eigenen Stücken genauso wie bei Werken anderer: den Bauch zu treffen und im Bauch getroffen zu werden. "Technischer Schnickschnack und Mathematik" gehören für D’Ase eindeutig einer musikalischen Vergangenheit an, deren Ausläufer er als "Nachwehen der Avantgarde" ablehne und überwinden wolle – und ortet bei diesem Vorhaben ausdrücklich eine erkleckliche Zahl musikliebender Menschen hinter sich. So ist es nur konsequent, wenn er – aus gewisser Distanz – durchaus auch aktuelle Popmusik schätzt: "Gewiß ist da vieles strukturell und harmonisch banal, aber das ist oft Musik, die als unverblümter, direkter und verständlicher Ausdruck der Zeit den Nerv der Hörer trifft" – und da könne auch ein "E-Musik"-Komponist manchmal etwas lernen. Anregungen ganz anderer Art hat er sich aber auch bei Feldforschungen auf ausgedehnten Afrikareisen holen können: Konzerte mit schwarzafrikanischen Musikern, ob bei traditioneller oder Township-Musik (eine Art mit westlichen Elementen vermengte, städtische U-Musik), boten D’Ase ausgiebig erstklassigen Anschauungsunterricht spontan-unmittelbaren, begeistert-begeisternden Musizierens. Technisch gesehen waren es vor allem die verschraubten Strukturen sogenannter inhärenter Pattern, die er in sein eigenes Komponieren hat einfließen lassen: komplexe Rhythmen, die als solche nicht gespielte, aber wahrnehmbare, virtuelle Linien hörbar werden lassen.

 

Jenseits von Moderne und Postmoderne?

 

Betreibt er also eine postmoderne Integration "von fremden Ländern und Menschen"? Doch mit Schubladen wie "Moderne" und "Postmoderne" kann D’Ase zumindest in der Musik nur sehr wenig anfangen. Er, der an der Wiener Musikuniversität bei Friedrich Cerha studiert und seine Ausbildung bei so unterschiedlichen Komponisten wie Krzysztof Penderecki und Luciano Berio (die jedoch die Suche nach dem Publikum vereint) abgerundet hat, fühlt sich eher als Angehöriger einer "Post-Avantgarde", die Komponisten wie Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch eingestandenermaßen mehr verdankt und verpflichtet ist als der Vätergeneration des Darmstädter Umfelds. Was Schriftsteller wie Peter Turrini oder Felix Mitterer auf dem Theater erreicht haben, strebt D’Ase im Reich der Töne an: eine Art musikalischen Volksstücks – jenseits des Elfenbeinturms, in dem die Elite bloß für die Elite produziert. Mit Stücken, deren Komplexität die unmittelbare Wirkung zu überlagern scheint, ist D’Ase auch als Zuhörer immer recht rasch fertig: Ihn fesselt erst ein direkter emotionaler Eindruck.

Auch wenn der Vierzigjährige damit immer wieder und bewußt aneckt, scheint ihm der Erfolg Recht zu geben: Vom Komponieren leben kann D’Ase, den in jüngster Zeit sogar zwei Mitarbeiterinnen bei den überbordenden administrativen Aufgaben entlasten, nun schon seit zehn Jahren – und kann sich leisten, Aufträge auch abzulehnen, wenn sie ihm nicht ins Konzept passen.

 

Vom Cello zur Klarinette

 

Gefreut hat er sich jedenfalls, als Peter Keuschnig für sein "Ensemble Kontrapunkte" ein Konzert bestellt hat – auch wenn mittlerweile die Rolle des Solisten vom Cello auf die Klarinette übergegangen ist, wo D’Ase sie allerdings in den besten Händen weiß: "Ich habe Siegfried Schenner mit Bernsteins ,Prelude, Fugue and Riffs‘ gehört – das war wirklich großartig!" Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach diesem beeindruckenden Kontrapunkte-Abend im Brahms-Saal des Musikvereins, an dem unter anderem auch Strawinskys "Ebony Concerto" zu hören war, wird Schenner nun D’Ases Klarinettenkonzert aus der Taufe heben – "in gewissem Sinn ein Experiment. Aber jedes neue Stück ist ein Experiment!" Dirk D’Ase will nämlich in diesem Stück zumindest teilweise einen bewußten Gegenpol zu jener ereignisreich-dichten, energisch geprägten Sphäre entwerfen, wie sie seine Musik überhaupt und im besonderen sowohl Akkordeon- wie auch Violinkonzert geprägt hatte: "Der erste der beiden Sätze wird langsam sein, sehr zurückhaltend instrumentiert und ökonomisch im Aufbau, aber auch eine großangelegte Steigerung und einige Eruptionen enthalten." Im architektonischen Entwurf großer Formen fühlt sich D’Ase handwerklich ohnehin sehr sicher und erfahren. "Der zweite Satz wird sehr ,jazzy‘, mit saftigem Blech – etwas, wo man so richtig die Sau rauslassen kann!" lacht D’Ase – und man spürt, daß die Formulierung für die Mitwirkenden wie den Komponisten gleichermaßen gilt. Das schließt übrigens mit ein, daß die Soloklarinette mit Saug- und Klappengeräuschen auch perkussive Klänge lustvoll beizusteuern hat, zumal das Schlagzeug in D’Ases Musik immer wieder als Puls und Feinwürze eingesetzt wird. Selbstverständlich fehlt aber auch im Klarinettenkonzert ein Instrument nicht, zu dem D’Ase eine besondere Liebe entwickelt hat und immer wieder gar als klangliches Rückgrat und Angelpunkt seiner Partituren einsetzt: das Akkordeon.

 

"Bravissimo!"

 

Und was sagt etwa ein Luciano Berio zu den Kompositionen seines einstigen Schülers? Im Sommer 1999 ergab sich im Umkreis der Salzburger Festspieluraufführung von Berios "Cronaca del Luogo" Gelegenheit für Dirk D’Ase, dem damals knapp 74jährigen einen Stapel Partituren zur Begutachtung vorzulegen – zwei Stunden, in denen er Blut geschwitzt hat: "Die ganze Zeit über hat er beim Lesen spärliche, aber immer nur knurrende Bemerkungen fallen lassen! Strenge Fragen, warum ich dieses oder jenes Detail nicht anders gemacht hätte, oder einfach skeptisches Kopfschütteln – mehr schien er für meine Werke nicht übrig zu haben. Ich dachte schon, jetzt ist alles aus!" Doch siehe da, als Berio schließlich die Noten geschlossen hatte, stand er auf und rief, mit zusammengelegten Fingerspitzen vor dem Bauch gestikulierend, Worte wie: benissimo, bravo etc. – "Ein unvergeßlicher Moment", bekennt Dirk D’Ase stolz.

Gut möglich, daß am 5. März das Musikvereinspublikum im Brahms-Saal auf D’Ases Klarinettenkonzert ähnlich reagieren wird.

 

Walter Weidringer